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Meine eigenen Scheuklappen

Ich kam nach Hause und freute mich auf die Zeitung. Ich habe mir die Bild-Zeitung abonniert, die ist so schön bunt. Nein, war ein Scherz. Ich habe mich natürlich auf die Wochenendausgabe der Süddeutschen gefreut. Die Wissens-Seite ist so ziemlich die einzige Seite, bei der ich regelmäßig plane sie zu lesen. Dort findet man nämlich nur neutrale oder positive Beiträge, nie aber solche die sich negativ auf das Gemüt auswirken. In einem panischen Moment kam mir aber der Gedanke, ich könnte Weltgeschehnisse verpassen, wenn ich die Zeitung danach wieder zuschlagen würde. Manchmal tue ich das. Eigentlich lese ich sehr selten etwas anderes als die Wissens-Seite, die sehr zu meinem Bedauern nur am Wochenende erscheint.

Ich blätterte also eine der Seiten auf, die mit dem Wort „Politik“ betitelt war. Ich hätte es nicht tun sollen, aber ich war jung und naiv. Der von meinem Quanten-Zufalls-Selektor gewählte Artikel war „Deutsche fühlen sich nicht sicher“ auf Seite 6 der Ausgabe vom Freitag, 11. September 2009. Es ging darin um die Dinge, vor denen sich die Deutschen am meisten fürchten. Arbeitsplatzverlust steht wohl ganz oben, jedoch werden auch Dinge wie Internetkriminalität erwähnt. Hierzu ein Zitat aus besagtem Artikel:

Der Studie zufolge halten 75 Prozent der Deutschen eine Einschränkung des Datenschutzes zumutbar, wenn dadurch Kinderpornographie oder Rechtsextremismus im Netz eingedämmt werden können.

Das ist etwas, das ich nicht glauben kann, oder vielleicht sogar einfach nur nicht glauben will. Ist das dein Ernst, liebes Deutschland? Ihr wollt tatsächlich den Datenschutz einschränken? Ich muss sagen, es ist ja bereits geschehen (Stichwort Zensursula), aber ich war damals der festen, ja sogar felsenfesten Überzeugung, dass das Volk nicht hinter dieser Entscheidung stand. Das obige Zitat ließ mich jedoch nachdenken und führte zu zwei Überlegungen:

  1. Ich sollte mein Weltbild überdenken. Das deutsche Volk stand doch hinter der Entscheidung. Oder:
  2. Die im Zitat erwähnte Statistik ist nicht repräsentativ.

Den ersten Gedanken verwerfe ich. Amerikanische Wissenschaftler haben nämlich festgestellt, dass es einem Menschen sehr schwer fällt sein Weltbild zu ändern und es häufig unmöglich ist. Bleibt also noch der zweite Punkt. Hierfür fallen mir sogleich stichhaltige Indizien ein:

  • Mir ist noch nie, nie, nie, nie, nie, nie, nie, nie, nie, nie, nie, nie, nie, nie, nie, nie, nie, nie und wirklich niemals ein Internetuser über den Weg gelaufen, der die Idee des eingeschränkten Datenschutzes gut heißt. Woher sollten also 75 Prozent kommen?
  • Bestimmt wurden auch ältere Menschen zur Erhebung der Statistik befragt, die das Internet womöglich noch nie benutzt haben. Mein eigener Opa würde mir da spontan einfallen. Der Begriff Datenschutz ist für ihn genauso fremd wie die Vorstellung, dass das Elektron ein Punktteilchen ist und damit kein Volumen hat, was übrigens der Standpunkt der aktuellen Forschung ist.

Interessanter Weise ist seine Meinung in einer politischen Abstimmung genau so viel wert wie die eines tatsächlichen Internetbenutzers. Viel mehr sogar wird er ermutigt eine Meinung zu einem Thema zu haben, das er überhaupt nicht abschätzen kann. Ich erwarte auch nicht von unseren Blog-Lesern, dass sie ernsthaft mit mir darüber argumentieren können wie sinnvoll es ist das Elektron als volumenlos anzugeben.

Trotzdem soll mein Opa wählen. Daher sehe ich es als wichtig an jedem Menschen erklären zu können, was man unter einer „Einschränkung des Datenschutzes“ verstehen könnte! Ich würde es mal so probieren:

Es ist ungefähr so als würde man von dir verlangen der Regierung ständig mitzuteilen, wo du dich gerade auf der Welt befindest, das heißt bei jeder Fahrt zum Supermarkt, bei jedem Spaziergang im Wald und bei jedem Schaufensterbummel würdest du bei deiner Volksvertretung per Handy anrufen und ihr sagen, was du gerade tust. Du würdest dich fragen: „Wozu soll ich das tun?“, und die Antwort wäre: „Um Kinderpornographie zu bekämpfen!“. Man könnte erwidern, dass das sicherlich eine immens hohe Telefonrechnung nach sich ziehen würde und der Staat würde erwidern: „Du brauchst gar nicht selber zu telefonieren, wir bauen einfach Sensoren in unsere Straßenbeläge ein, die erkennen dich automatisch! Praktisch, nicht wahr?“.

Ich muss jetzt Musik hören. Comptine D’un Autre Été: L’après Midi.

7 Antworten auf „Meine eigenen Scheuklappen“

Wahrscheinlich haben sie 100 Leute befragt, 75 von denen bestochen oder gleich so ausgewählt, dass es ihnen egal ist und sie beim Schlagwort Kinderpornographie sofort auf die Barrikaden gehen, und die restlichen 25 so ausgewählt, dass sie ja sagen, weil die Statistik sonst unglaubwürdig wäre (was nicht heissen soll, dass sie es jetzt nicht ist). Am Ende hat mal also eine 75% Quote, von der man dann sagen kann, dass sie für das ganze Volk gilt weil man weitreichende Befragungen in einem riesigen Personenkreis angestellt hat.
(Wem das zu drastisch scheint, der soll an die Personenanzahlen einfach eine 0 dranhängen.. das Verhältnis von 80 millionen zu 1000 ist immernoch ziemlich absurd.)
Insofern brauchst du dir keine Sorgen, Flip, dass 75% hinter dieser Aussage stehen.

Es waren 1.000 Personen, stand auch im Artikel, hätte ich vielleicht noch erwähnen sollen. In der Regel werden Umfragen zu solchen Themen immer mit 1.000 Personen durchgeführt, zum Beispiel auch die Umfragen welche Partei momentan wie viele Anhänger finden würde.
Aber ich hoffe, dass du Recht hast und ich mir keine Sorgen machen muss! :-)

ich glaube ihr übertreibt da mit dem „statistiken-fälschen“ ein bisschen zu sehr.

ich kann mir sehr gut vorstellen, dass viele leute einfach erst gar nciht verstehen, warum es schlecht sein sollte kinderpornografische seiten zu sperren – es erklärt ihnen auch niemand. also denken sie „diese perversen schweine! natürlich sollen die seiten gesperrt werden!“

also wenn dann liegt bei der umfrage das problem der information. Dh sie sagen nicht: „es geht um eine sperrung kinderpornografischer seiten“, die befürwörter sagen „die perversen werden davon abgehalten die armen misshandelten kinder zu beschauen“ die dagegen sind sagen „zensur. den kindern wird dadurch nicht geholfen. kann leicht umgangen werden.“
erst dann würden die menschen nachdenken.

ich wette wenn du in der stadt 100 menschen fragst (ohne ihnen weitere infos zu geben) werden dir auch 75 sagen dass sie für so eine zensur sind – weil sie sich nicht informiert haben

Cecile, aber das ist doch das gleiche wie eine Fälschung. Von daher übertreiben wir nicht.
Wenn ich dich frage „Du bist auch gegen Atomkraftwerkstote, oder?“ und daraus „Deutsche befürworten Abschaffung von Strahlenbehandlung von Tumorpatienten“ mache, dann ist das eine Fälschung.
Und das ist leider das Problem von allen Statistiken.

das ändert aber nichts daran dass diese leute parteien die gegen die zensur sind nicht wählen werden, weil sie eben der meinung sind die zensur von kinderpornografischen seiten sei gerechtfertigt

Das hat auch keiner bestritten – ich habe lediglich gesagt, dass „Statistiken fälschen“ nicht übertrieben ist.
Dass Menschen dumm (= uninformiert) sind.. bin der letzte, der was dagegen sagt. :)

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