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Orientierungssinn

Vor ein paar Jahren nahm ich an einem Experiment einer Studie über den menschlichen Orientierungssinn als Proband teil. Der Experimentator, er hieß Lukas, teilte mir danach mit, dass mein Gehirn ausschließlich ein dreidimensionales Modell der Umgebung erstellen würde, aber dabei keine Farben, Texturen oder ähnliches aufnimmt. Wenn ich mich bewege, so sagte er mir, dann würde ich mir den zurückgelegten Weg mit Längen- und Winkelmaßen merken und so immer wissen, wo ich bin. In Ermangelung eines Namens nenne ich das die Typ-A-Navigation. Andere Menschen mit Typ-B-Navigation hingegen würden ausschließlich markante Objekte speichern sowie Informationen, wie man zum nächsten Objekt gelangt. Also beispielsweise würden sie sich den Kirchturm merken und zusätzlich die Information, dass es hinter dem Kirchturm rechts zum Bäcker geht, am Kirschbaum vorbei.
Typ A hätte sich gemerkt, dass man zuerst 100m gerade gehen muss. Dann ist Typ A bei der Kirche, ohne zu merken, dass es eine Kirche ist. Er wüsste aber, dass er sich jetzt um 90 Grad nach rechts drehen muss und dann weitere 100m gehen muss. Den Kirschbaum hätte er nicht bemerkt. Es gibt laut Lukas also genau zwei verschiedene Arten der menschlichen Navigation. Ich war Typ A. So weit, so gut.

Nach dem Experiment hatte ich ein schlechtes Gewissen, denn ich hatte geschummelt. Aber ich war jung und brauchte das Geld. Bei Teilen des Experiments wurde mir für ein paar Sekunden ein um eine Achse zufällig rotierter dreidimensionaler Pfeil auf einem Bildschirm angezeigt. Ich sollte mir den Winkel merken und reproduzieren.
Bei der Darstellung am Bildschirm wurde aber kein Aliasing verwendet, so dass ich ganz leicht Pixel zählen konnte! Folglich waren alle meine Winkel zu 100% richtig. Lukas war von mir begeistert und fragte, wie ich dieses Ergebnis bewerkstelligt hätte. Ich verschwieg das Pixel-Zählen, da ich Angst hatte, dass mein Datensatz als ungültig erklärt und mir die versprochene Aufwandsentschädigung in Höhe von 8 Euro verwehrt worden wäre! Stattdessen verwies ich auf meine räumliche Vorstellungskraft. Das begeisterte ihn noch mehr und sagte, ich würde in Hinblick auf meine anderen Testergebnisse seine Hypothese über den Orientierungssinn exakt bestätigen. (An die genaue Formulierung der Hypothese erinnere ich mich nicht mehr.)
Das Experiment war Teil seiner Doktorarbeit und ich hatte wahrscheinlich gerade seine Messwerte verfälscht. Zuerst dachte ich, dass ein Proband von 500 schon nicht so viel Schaden anrichten könnte. Später erfuhr ich, dass es nur 12 Testpersonen gab und dies eine übliche Stichprobengröße in der Gehirnforschung sei. Danach hatte ich wirklich ein schlechtes Gewissen. Wenn die anderen Probanden auch Geeks waren, dann haben sie auch Pixel gezählt, anstatt sich den Pfeil als dreidimensionales Objekt vorzustellen!

Um Lukas Studie zu ersetzen, habe ich ein Selbstbeobachtungsexperiment gestartet. Ein paar Jahre später, nämlich heute, bin ich zu einem Ergebnis gekommen: in unbekannten Städten navigiere ich nicht so wie oben beschrieben. Ich bin nicht Typ A, nur beinahe.
Ich merke mir durchaus die Geometrie des zurückgelegten Weges.
Sind jedoch Winkel im Spiel die nicht exakt Vielfache von 45 Grad sind, dann kann ich meine Position nach einer Weile nur noch mit sehr großem Fehler relativ zum Startort meiner Route angeben (damit meine ich, dass ich nicht mehr die Luftlinienrichtung zum Startort zeigen kann). Biegt eine Straße von einer Anderen in einem krummen Winkel ab, zum Beispiel mit 80° statt ordentlichen 90°, so verwirrt mich das. Ich bemerke zwar, dass es kein rechter Winkel ist, aber es hilft mir nicht viel und mein im Kopf angelegter Stadtplan bekommt Fehler.
Ab diesem Moment schalte ich auf Typ-B-Navigation um. Ich halte dann Ausschau nach Gebäuden, die ich kenne (was ich nach Lukas Aussage zu 0% tue). Sobald ich eines dieser Gebäude gefunden habe, nutze ich die neue Information um meinen Stadtplan zurecht zu zerren.
Beim Spielen von Counter-Strike in einer neuen Welt lasse ich mich am Anfang gerne töten um im Free-Fly-Modus die Welt von oben sehen zu können. So verstehe ich sie in wenigen Augenblicken. Erlerne ich die Geometrie der Welt hingegen nur durch die Ego-Perspektive, so brauche ich ewig und orientiere mich anfangs stark an herumliegenden Gegenständen oder Wandtexturen.
Meine Einzelfallstudie ist damit abgeschlossen. Typ-A-Gehirne nutzen ebenfalls die Typ-B-Navigation. Und ich behaupte, dass es sich mit allen Menschen so verhält, die von Lukas als reiner A-Typ eingestuft worden wären (schließlich haben alle meine Probanden sich so verhalten). Über reine Typ-B-Gehirne kann ich naturgemäß nichts sagen.

3 Antworten auf „Orientierungssinn“

ojemine! :) Klingt aber spannend. Und für die Zukunft: Versuchspersonen-Geld wird immer vergeben. Egal ob du schummelst, mitten drin umkippst oder dich nach einer Minute verweigerst. Ist zumindest von den ethischen Richtlinien so geregelt… Anwesend solltest du aber schon sein ;)

Hehehe. Tjaja, die Tests und ihre Gültigkeit. ^^

Ich ändere je nach Aufmerksamkeitslevel die taktik ganz massiv. Wenn ich unaufmerksam bin (also meistens) verwende ich eine fürchterlich ungenaue Variante von Typ B, in der ich mir nur irgendwelche peripheren Bildeindrücke merke. Damit nachher den Weg zu finden ist eine Katastrophe, weil ich irgendwelche Eindrucks-Fetzen wieder zusammenbauen muss.

Wenn ich mich darauf konzentriere, baue ich eine Art Netzwerk-Karte, die typisch Gehirn-mäßig auf massenhaft Meta-Information verweist, also wie bei Typ B optische „snapshots“ aus verschiedenen Perspektiven, aber auch Typ-A mäßig 3D-Geometrie. Hab‘ ich wohl als Kind beim Descent-Spielen gelernt. Da braucht man nämlich etwas Nerven, um die abstruse Levelgeometrie zu verstehen. Kostet aber Konzentration, deshalb siegt fast immer die Faulheit und ich lasse es bleiben… Osaka mode, Isumi result. ^^

Das hat den seltsamen Effekt, dass sich für mich Orte in harte zwei Klassen einteilen: die, bei denen ich schonmal aufmerksam navigiert habe und den Rest. Gut, dass meistens niemand merkt, wieviele Stellen zum Rest gehören. :P

Also Danke Fortschritt, danke dir…. Danke für das NAVI…..

Ich bin Typ A und Typ B und nutze noch die Technik zur Unterstützung.

Ich bin Jahrelang als Kurier unterwegs gewesen und durfte den ersten Tag ohne Stadtkarte ( München ) oder Navi mein neues Gebiet abfahren.

Ich wusste nicht wo ich bin ( war meine erste Woche in Bayern, komme sonst aus Berlin ) und naja… Panik PUR !

Ich bin raus, meine Karre randvoll mit Paketen und naja ich habe mir einigermaße die Straßen gemerkt ( habe ja die Pakete in meine Karre eingeräumt ) habe mir die Erfahrung als alter DHL Profi genutzt und Passanten gefragt.
Ok hier habe ich ich mach Straßen und Straßennamen orientiert. Nach Gebäuden und deren Aufrschriften orientiert. Es war nicht ohne.

Dann habe ich mir von einen Passanten nen Stadtplan zeigen lassen und konnte die Vogelperspektive in meinen Hirn abspeichern.

Ab da ging es dann besser.

Also ich will sagen der Mensch kann in schwierigen Situationen viele Ressourcen nutzen die einem gar nicht bewusst waren.

Und hey Leute ich habe meine Tour nach 13 Stunden sauber gefahren XD

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