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Warum man, denke ich, die E-Mobilität kritisch sehen darf

Soeben hat die Bundesregierung beschlossen, den Kauf von Elektroautos mit bis zu 4000 EUR zu bezuschussen. Die Zukunft der Mobilität ist elektrisch, twittern die Regierungsaccounts fröhlich.

Auf Diskussionsportalen jedweder Art entfaltet sich jetzt in diesem Augenblick leider wieder, ähnlich der Flüchtlingsdiskussion, eine Diskussionskultur, die nur zwei Seiten kennt. Für die einen ist kompromisslos klar, dass vollelektrische Fahrzeuge möglichst schnell eine hundertprozentige Abdeckung erreicht werden, und alle die Einwände haben, sind Umweltverschmutzer erster Güte. Die anderen schimpfen auf die kurzsichtigen Gutmenschen mit ihren zerstörerischen Ökoambitionen.

Das ist insofern schade, weil beide Seiten relevante Argumente haben und ein ergebnisoffener Diskurs wünschenswert wäre. Die Förderung von Elektroautos sehe ich vorerst kritisch. Sie folgt einem ähnlichen Schema von Entscheidungen, die sich im Nachhinein mehr als Aktionismus als durchdachte Umsicht herausstellten.

Vor einigen Jahren war das Problem „Fossile Ressourcen halten nicht ewig“. Diese Ressourcen halten länger, wenn man wenig davon verbraucht. Also wurde staatlich verordnet, den Flottenverbrauch bei Autos zu senken. Die Folge waren: Mehr Diesel (Diesel verbrauchen weniger wegen thermisch höheren Wirkungsgrad und höherer Energiedichte des Treibstoffs), Einsatz von aufgeladenen Motoren und Direkteinspritzern.

Wenig später die Konsequenz: Genau diese Techniken (und Diesel, übrigens weiterhin subventioniert [ca 15 Cent weniger Energiesteuer pro Liter – trotz höherer Energiedichte]) führen zu einem höheren Schadstoff & Feinstaubausstoß. Durch die Reduzierung der einen Dimension hat man eine andere Dimension verschlechtert. Dieser Effekt war sicherlich nicht unbekannt – aber damals nicht so im Rampenlicht und daher für die Entscheidung der Einführung des Flottenverbrauchs unberücksichtigt. Verschlimmert ist das Ganze durch den  praxisfernen Verbrauchszyklustest – vergleicht man Herstellerangaben und Werte auf Portalen wie spritmonitor.de, wird schnell klar: So viel haben diese Techniken in der Praxis nicht gebracht. Die steigende Komplexität der Technik und die hohe Energiedichte im Motor führt aber zu geringerer Haltbarkeit und höheren Werkstattkosten. Rechtfertigt der Energie&Ressourcenaufwand einer Fertigung eines Präzisionsteils aus Stahl, wie zB ein Turbo, jemals eventuell eingesparte Spritkosten?

Jetzt, wo Schadstoffe im Rampenlicht stehen, bekommt also das Elektroauto seinen Glanzmoment. Sofort anliegendes Drehmoment, emissionsfrei, leise, wartungsfrei, kostenlos tanken! Zusätzlich fordern viele Diskutanten Strafzahlungen für den Einsatz von Verbrennern oder starke steuerliche Nachteile.

Warum darf man technisch kritisch gegenüber E-Mobilität sein?

Wartungsfreiheit, das ist ein Stichwort, welches man oft liest. Ein E-Motor hält ewig. Man braucht kein Getriebe mehr. Der kühlende Ölkreislauf entfällt. Ja, es ist wahr: Ein E-Auto kann technisch weniger komplex sein. Aber in der Realität unterliegen auch E-Motoren einem Verschleiss – der elektrische Stellmotor der Valvetronic von BMW ist ein gutes Beispiel. Anschlüsse korrodieren, die Lager bekommen Spiel. Auch E-Autos profitieren von einem Getriebe [Quelle]. Systeme wie Bremskraftverstärker arbeiten mit Unterdruck, der zB bei Saugbenzinern schon vorhanden ist. Diese Teile müssen ersetzt werden – und können kaputt gehen. Selbsthilfewerkstätten boomen – aber Elektroautos sind deutlich gefährlicher zu reparieren. Es fließen hohe Ströme – und man kann diese nicht sehen. Bei einer Mechanik sind die Risiken sichtbar und somit kalkulierbar.

Elektroautos sind deutlich schwerer – ein Nissan Leaf, also ein Auto der Kompaktklasse, wiegt 1500 kg, genausoviel wie eine Mittelklasse-Limousine (zB E90 3er, C-Klasse). Jeder Beschleunigungsvorgang kostet deutlich mehr Energie. Der Verschleiß bei Reifen und Bremsen ist höher. Interessant wäre hier eine Studie, die diesen Effekt durchrechnet und hinsichtlich der Gesamteffizienz, auch ökologisch, bewertet. Natürlich sollten hier Rekuperationsbremsen berücksichtigt werden – aber auch, wie oft von diesen Gebrauch gemacht wird. Viele Insassen berichten, dass ihnen durch den Effekt der Bremse (viele Lastwechsel) übel wird.

Nur der Vollständigkeit halber will ich an dieser Stelle noch die Lautstärke erwähnen. Elektroautos sind leise, aber womöglich stellt das eine Gefahr für Fußgänger dar, so dass man überlegt, akustische Signale abzusondern. Das würde diesen Vorteil mindern. Auch würde ich in den Raum werfen, dass eine sensorische Abkopplung zu Überschätzung von Geschwindigkeit bzw  Unterschätzung wirkender Kräfte führen könnte. Imo auch interessante Studienthemen!

Warum darf man ökologisch kritisch gegenüber E-Mobilität sein?

Das E-Auto ist emissionsfrei – endlich wieder durchatmen. Nur am Rande soll hier erwähnt werden, was eh schon jeder mal gehört hat: Der Strom muss irgendwo produziert werden. Das geht in einer großen Anlage aber natürlich effizienter und mit höherem Wirkungsgrad, oder gleich auf Solar/Wind/Wasser gehen.

Tesla will die Herstellungskapazität der weltweiten Produktion von Lithium-Batterien verdoppeln [Quelle]. Was für einen Effekt hat das auf den Abbau von Lithium und welche Umweltschäden entstehen hier? Was für Effekte entstehen in der Recyclingkette?

Wie eben angesprochen sind Elektroautos tendentiell schwerer – das Tesla Model S wiegt 2100 kg, eine ähnlich große E-Klasse mit vergleichbarer Motorisierung ca 1700kg. Das macht 400kg Unterschied, die bei einem Crash sicher abgefangen werden müssen. Das folgende ist eine Vermutung: Man benötigt mehr Stahl um den Überlebensraum bei einer Kollision stabil zu halten. Wie wirkt sich das auf den ökologischen Fußabdruck aus?

Der lokale Wirkungsgrad ist nicht 100%: Die Selbstentladung einer Li-Ion Batterie ist weniger als 2% bei 20°C pro Monat, die Lade&Entladeeffizienz ca 90%. Vom Aufladen zur Umsetzung im Motor also ~81% Wirkungsgrad. Ist der Wirkungsgrad im Kraftwerk im Vergleich zum Verbrenner so viel höher, dass sich das lohnt? Ich will diese Frage nicht verneinen – ich würde nur gerne eine Antwort darauf haben.

Angenommen, man ersetzt alle 45 Mio Autos der Bundesrepublik durch E-Autos. Wir nehmen an, dass in jedem Auto durchschnittlich eine 50 kWh-Batterie sitzt. Und dann sind wir optimistisch und nehmen wir an, dass das ganze Jahr über 20°C herrscht. Dann verpufft jeden Monat in etwa 1,5%, also 750 Wh pro Auto. Das sind bei 45 Mio Autos 33 Gigawattstunden, die pro Monat verschwinden – also so viel, wie 19.000 westliche Durchschnittsbürger pro Jahr an Energie verbrauchen. Es wäre für die Diskussion hilfreich, wenn jemand diese Zahl mal evaluiert und in Kontext setzt. Und dabei natürlich die Temperatur integriert – der Jahrestemperaturdurchschnitt ist in München 9°C und nicht 20°C.

Die gesamte ökologische Diskussion wird auch dadurch getrübt, dass aktuell ein regelrechter SUV-Boom herrscht – und die Transporteffizienz wegen hohem Gewicht, großen Reifen und fürchterlichem Luftwiderstand drastisch gesenkt wird.

Warum darf man soziologisch kritisch gegenüber E-Mobilität sein?

Ein Neuwagen ist teuer. Etwa 60% angeschaffter Autos sind gebraucht [Quelle]. Der gebrauchte Wert eines E-Fahrzeugs ist aber wegen der begrenzten Lebensdauer der teuersten Komponente – dem Akku – eingeschränkt. (Übrigens auch ein interessanter Punkt im Kontext Ökologie). Die Forderung nach Strafzahlungen oder einer erhöhten Besteuerung von Verbrennern träfe genau die, die ohnehin finanziell nicht wohlsituiert sind. Auf genau diese Gruppe trifft wahrscheinlich auch am ehesten das Problem der verschlechterten Reparierbarkeit zu.

Zurück zum Gedankenspiel: 45 Mio E-Autos. Wie und wo werden diese geladen, wenn man nicht der reiche Akademiker mit Eigenheim und Garage mit Wallbox ist, sondern in einem Komplex mit 20, 30, 40 Wohnungen lebt? An dieser Stelle wären Studien zu Lebensraumkonzepten interessant, die diesen Aspekt integrieren.

Deswegen sollte man Bedenken einiger Kommentatoren betreffend der Arm-Reich-Schere, gerade hinsichtlich der Kaufprämie – „Umverteilung von unten nach oben“ – zumindest nicht völlig abtun.

Flexibilität und Optionen haben für manche Menschen Wert

Diese Stelle ist mehr ein Plädoyer für mehr Toleranz gegenüber dem, was manche Menschen an Dingen schätzen. Ich beobachte oft, dass in Diskussionen Vorlieben anderer möglichst invalidiert werden. Ein gutes Beispiel ist Reichweite: „Wenn du mehr als 200km fahren willst – miete dir doch einen Verbrenner extra für Langstrecke!“. Genau das ist aber eine Reduktion von Optionen, und in den meisten Fällen auch teurer. Das gleiche gilt für: „Mit nem Speedcharger ist man in 20 Minuten wieder bei 80%, mach doch einfach ne Pause!“ – hier auch, ob das bei einer konvergierend 100% E-Auto-Durchsetzung noch der Fall ist.

Dazu muss man aber auch sagen, dass natürlich alle Menschen den Planeten gemeinsam bewohnen und eventuell individuelle Freiheiten hinter dem Wohl aller zurücktreten müssen. Dennoch denke ich, dass diese Diskussion mit weniger Aggressivität geführt werden könnte.

Wissenschaft ist kein linearer Prozess

Zuletzt möchte ich noch etwas zu Forschung sagen. Wissenschaft ist kein linearer Prozess. Wenn man das Budget verdoppelt, kann es sein, dass es nicht in halber Zeit geht. Probleme lassen sich eventuell nicht durch den bloßen Einsatz von „mehr Wissenschaft“ lösen. Es klingt oft so, als wäre die Lösung für das Reichweitenproblem, das Selbstentladungsproblem, das Ladedauerproblem und die Haltbarkeit schlicht und einfach „mehr Batterieforschung“. Es ist aber schwer vorherzusagen, wann diese Forschung welche Ergebnisse zu welchen Bedingungen liefert – oder ob überhaupt.

Nicht gegen Elektroautos

Schlusswort. Ich bin nicht gegen Elektroautos, sondern für einen ergebnisoffenen Diskurs von Fragen, die die ganze Gesellschaft betreffen – auch, um zu vermeiden, dass man aktionistisch Dinge behebt und andere dafür verschlechtert. Für eine klarere Faktenlage, bevor man seinen Kampfanzug anzieht und sich in eine Extremposition begibt. Es ist klar, dass viele scheinbare Nachteile von E-Autos Verbrenner noch stärker betreffen, und E-Autos diese zumindest besser lösen. Aber in Hinblick auf die noch möglichen Entwicklungen beim Verbrenner und die ökologischen und ökonomischen Kosten des Umstiegs wäre es eben auch mal interessant, diese Frage unvoreingenommen zu studieren.

Ich bin gegen die Kaufprämie, weil es scheinbar viele ungeklärte Probleme gibt. Besser hätte ich es gefunden, wenn man die 1,2 Mrd Euro an Universitäten und Forschungsinstitute gegeben hätte – um die Technik voranzutreiben, offene Fragen aufzudecken und Alternativen in der Hinterhand zu gewinnen.

 

Besonders freue ich mich auch auf eure Kommentare!

 

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