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Der Wecker

Wenn morgens der Wecker im Schlafzimmer des Durchschnittseuropäer klingelt, dann ist es meistens 6:00 Uhr, 7:00 Uhr oder 8:00 Uhr. Wenn mein Wecker klingelt, ist es meistens 8:03 Uhr. Das hat zwei Gründe: zum einen sind dann die Nachrichten im Radio vorbei und man wird mit Musik geweckt. Zum anderen ist es eine mir angeborene Eigenschaft, alles grundsätzlich so zu machen, wie sonst niemand es tun würde.

Zurück zu all den Instrumenten, die täglich unser Land wecken. Stellt euch mal vor, wie viele davon um genau 6 Uhr allein in Deutschland klingeln. Eine riesige Schallwelle von „Beep“, „Ding-Dong“, „Brrrrrrr-ring-ring“ und Nachrichtensprecher, die da alle zur selben Uhrzeit losstarten. Wenn Häuser keine Dächer hätten, würde mich interessieren ob man auf dem Olympiaturm etwas hören könnte.

Aber warum lassen wir uns überhaupt wecken? Wozu das Ganze? Wenn wir uns einfach alle umbringen, wo wäre der Unterschied? Das tun wir ja sowieso schon, sogar aktiver als durch Autounfälle. Jährlich üben sich in Deutschland ungefähr 10.000 Leute erfolgreich am Selbstmord, hingegen nur 5.000 sterben unfreiwillig durch Verkehrsunfälle. Da sind Gedanken an neue Schilder, die den Verkehr sicherer machen sollen, fast schon Zeitverschwendung. Man muss viel mehr darüber nachdenken, warum ein Mensch den Selbstmord überhaupt in betracht zieht! Vermutlich geht es ihm schlecht. Vermutlich sogar ziemlich extrem ultraschlecht.

Man kann eigentlich jedem Menschen, den man ein bisschen näher kennt, eindeutig ansehen wie es ihm geht. Und manche davon, vielleicht sogar Elemente des Freundeskreises, neigen zu steter Ultraschlechtheit, sprich: Depression. Aber das wollen wir nicht sehen. Man gewöhnt sich daran. Viel lieber spenden wir 3 Euro monatlich nach Afrika, an Greenpeace oder die Kirche. Und beschreiben uns dann als hilfsbereit. Doch man kann viel mehr helfen. Wirklich helfen. Und damit meine ich nicht, dem Bettler in der eigenen Stadt auch noch einen Euro zu geben, nein. Damit meine ich sich in der Nachbarschaft von 500 Meter Radius umzuschauen, im Freundeskreis und in der Familie. Den Menschen dort ein Ohr leihen. Man braucht gar nicht unbedingt einen Lösungsvorschlag parat haben, oftmals reicht es aus jemandem zuzuhören. Doch zum Zuhören braucht es einen Sprecher! Ist schon mal jemand, von dem ihr wisst, dass er ein Problem hat, zu euch gekommen? Vermutlich nur der allerengste Freund. Darum mein Vorschlag: wenn du dir das Attribut der Hilfsbereitschaft zuschreiben willst, dann sei bereit! Wenn ein potentieller Leidender vorbeikommt, dann motivier ihn zum Sprechen und spar dir die 3 Euro.

Es ist nicht einfach auf jemanden zuzugehen um ihm zu sagen, dass er aussieht als hätte er ein Problem. Doch wenn es mal klappt, wenn jemand nach einem Gespräch mit dir, das im Grunde genommen aus nichts außer ein paar Schallwellen bestand, Schwingungen in der Luft, mit der Welt zufriedener ist und sich auf morgen freut, dann darfst du dich zu Recht auch noch stolz fühlen!

Das Thema hier kam mir nicht aus Langeweile in den Sinn. Seit zwei Monaten steigt morgens in meinen Bus zur U-Bahn ein Pfarrer ein. Jedes Mal ist er todmüde und jedes Mal sieht er schlechter aus als am Tag zuvor. Das ist kein Witz! Nächste Woche muss ich ihn ansprechen. Ich habe es mir semi-fest vorgenommen.

Aber vielleicht sind wir in Deutschland ja schon längst mehr auf dem Weg der Nächstenfürsorge, als es mir mit meinem Sinn für Depressionen auffällt: die Selbstmordrate in Deutschland ist in den letzten 27 Jahren tendenziell sinkend, von 18451 Suiziden in 1980 auf 9765 vorletztes Jahr.
Vielleicht hat es ja schon geklingelt!

Nochwas: solange wir uns hier nicht wohl fühlen und gerne leben, brauchen wir auch keinem Entwicklungsland beschreiben, was ein erfülltes Leben sei.

(Quellen: Wikipedia, Statistisches Bundesamt Deutschland)
In ganz Europa sind es übrigens jährlich 58.000 Suizide bei knapp 50.700 Verkehrstoten.

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Gesichtsgraffito

Was tu ich so gerne? U-Bahn fahren, genau. Wisst ihr ja schon. Auf dem Heimweg von der Uni, ganz übermüdet, da der Professor in der Vorlesung sehr laut gesprochen hat und ich also nicht schlafen konnte, setzte ich mich in die U-Bahn, eine von diesen alten Varianten. Mir gegenüber ein junges Mädchen, ich schätzte sie auf 12 oder 14 Jahre und einen Kopf kleiner als ich. Sie holte eine Dose aus ihrem Schulranzen, öffnete sie und betrachtete sich eine ganze Weile im Spiegel, der auf der Innenseite im Deckel untergebracht war. Ein typisches Schminkset-2-go also.

Für den weiteren Verlauf der Geschichte ist es wichtig zu wissen, welche Dimensionen jenes Schminkset hatte. Also gut aufpassen: Stellt euch einen Zylinder mit ca. 5cm Durchmesser und knapp 2cm Höhe vor. Okay das war auch schon die Beschreibung.

Das Mädchen entschied dann, dass ihr Lippenstift neu aufgetragen werden müsse. Ich war mir nicht sicher ob ich ihre Meinung teilte. Vermutlich wollte sie einfach nur zeigen, dass sie generell im Besitz von Lippenstift war. Während sie das so tat kam mir die Vorstellung, wie es wohl aussähe ein Dach mit zwei übereinanderliegenden Schichten an Dachziegeln einzudecken. Glücklicherweise interessierte ich mich damals im Alter von 13 Jahren noch nicht für Mädchen. Oder besser gesagt: ich habe mich durchaus interessiert, konnte es nur nicht zum Ausdruck bringen. Vielleicht war das ganz gut so. Wer weiß wie viel Lippenstift die damals hatten!

Nachdem ihr Lippenstift nun in voller Mannigfaltigkeit erschien, drückte sie von unten auf ihr kleines Schminkset und – schwupp – hatte sie eine Bürste in der Hand!! Das faszinierte mich nun doch. Der Deckel bzw. Spiegel wurde zum Griff und aus dem Bodenteil standen jede Menge kräftige Borsten empor, die definitiv länger waren als die Höhe der Dose. Das bedeutete, die Borsten waren im geschlossenen Zustand liegend in der Dose untergebracht. Es musste sich um eine raffiniert ausgeklügelte Falttechnik gehandelt haben, damit die Borsten sich beim Zurückklappen nicht gegenseitig behinderten! Ich war begeistert! Ein Schweizer Schminkset!

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Und täglich fährt die U-Bahn

Die U-Bahn ist eine Welt für sich. Besonders die, die durch Neuperlach fährt. Es scheint mir, als würde die ständige Fahrt im Tunnel den Menschen ihre Freude aus den Herzen rauben. Setzt natürlich voraus, dass sie sich irgendwann überhaupt einmal gefreut haben.

Nun, auf meinem Weg in die Uni beobachte ich dieses Phänomen täglich aufs Neue: morgens tummelt sich eine Bild-Zeitung neben der anderen, gelegentlich auch eine TZ. Dahinter und dazwischen solche Leute, mit denen man einfach nichts zu tun haben will. Kein Lächeln, kein Schmunzeln.

SZ-Leser findet man natürlich nicht, oder sie verstecken sich gut. Heute aber war ich mutig und setzte mich auf dem Heimweg mit einer Süddeutschen Zeitung in die U-Bahn. Ganz verstohlen kamen ein paar Blicke rüber. Darauf war die U-Bahn nicht vorbereitet gewesen! Nun ja, als ich dann beim Lesen vom Streiflicht auch noch das Lachen anfangen musste, da dachte ich, dass der Rest der U-Bahn jetzt bestimmt denkt, dass ich mich mit meiner SZ für was Besseres halte. Und dann stellte ich fest, dass ich tatsächlich so dachte. Zumal ich die Zeitung geschenkt bekommen hatte. Wer darf schon kostenlos Mercedes fahren?