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Der FD-Disclaimer

Aus gegebenem Anlass lasse ich mich mal darüber aus, dass Dinge, die ich sage, immer wieder durch einen Banalisierungs-Filter laufen, bevor sie dann unpassend kritisiert werden. Das führt seit Jahren dazu, dass ich komplizierte Aussagen mit meist noch komplizierterem Unterbau nicht mehr von mir gebe. Es ist nämlich schon fast unmöglich, dass sie nicht irgendjemand in irgendetwas ummünzt, das man dann schließlich gegen mich verwenden kann.

Ganz besonders nervig ist, dass ich in solchen fällen peinlichst aufpassen muss, mit wie vielen komischen Herangehensweisen man das Gesagte oder Geschriebene aufnehmen könnte. Übersehe ich eine, bin ich hinterher gezwungen, eine komplette Korrektur oder Erklärung, am besten bei Adam und Eva anfangend, zu fabrizieren.

Also kommt hier der FD-Disclaimer für meine Texte, aber ganz besonders auch für Gesagtes. Beim Reden kann man nämlich nicht dreimal über jedes Wort nachdenken und daher ganz leicht mal ein Westerwelle-Schicksal erleiden. Da entwickelt das Gesagte dann ein munteres, so ganz und gar nicht beabsichtigtes Eigenleben.

Es ist wichtig, zu unterscheiden, ob etwas so gemeint ist, wie es zuerst erscheint, oder nur so verstanden werden könnte. Sollte eine Mehrdeutigkeit bestehen, so ist es gut, das zuerst zu klären. Danach kann man ja den Inhalt immer noch auseinandernehmen, der läuft nicht weg. Bei der Unterscheidung, ob etwas vielleicht nicht so gemeint ist, wie es zuerst scheint, bitte ich, folgendes zu beachten:

Erstens: Ich bin kein Volldepp.

  • Wenn ich eine Korrelation erwähne oder impliziere, ist ihr Betrag nicht aus Prinzip 1. Beispiel: Wenn ich sage „Schwarze sind in den USA häufig kriminell“, meine ich NICHT „Schwarze in den USA sind alle kriminell“, „Schwarze sind Kriminell“ oder „ich bin ein Nazi“. Eine andere Formulierung wäre: Meine Aussagen sind meist statistischer, nicht absoluter Natur.
  • Ich setze ein gewisses Weltverständnis voraus. Wenn jemand ein Detailargument mit „Aber das hat der Schöpfer beim Designen des Menschen sicher nicht so gemeint“ kritisieren könnte, ist mir das völlig egal. Wenn es jemand tut, bekommt er die Chance, mir ein paar Dinge zu erklären. Zum Beispiel die Anzahl der Wirbel im Hals der Giraffe. Wenn er dann verwirrt ist, erkläre ich gerne einmal ausführlich, warum ich das Argument nicht anerkenne. Wer nichts schlüssiges dagegen aufbringen kann, aber trotzdem mit dem Unfug weitermacht, läuft Gefahr, von mir ignoriert zu werden. Meine an die Allgemeinheit gerichteten Formulierungen erhalten aus Zeitgründen keine Extra-Erklärungen für Dinge, die eigentlich jeder wissen sollte.

Zweitens: Überinterpretation nicht erwünscht.

  • Ich bin kein Super-Prophet. Und ich bin mir dessen bewusst. Wenn ich sage „Diese Sogenannten Klimaforscher machen da teilweise ziemlich dreckiges, unwissenschaftliches Zeug“, meine ich NICHT „Meine Glaskugel hat mir gezeigt, dass sich die globale Durchschnittstemperatur nicht erhöhen wird! Und alles, was irgendein Klimaforscher gesagt hat, ist Quatsch!!!!!11elf“
  • Aussagen beschränken sich auf sich selbst. Wenn ich sage, ein Beweis ist falsch, sage ich NICHT, dass die Aussage falsch ist, die er beweisen möchte. „Statistische Analysen über Gebete lassen vermuten, dass niemand auf sie reagiert“ bedeutet NICHT „Es gibt keinen Gott, nach jedweger Definition!“ oder „Beten schadet der Gesundheit“. Das Beispiel ist gleich doppelt beknackt, weil es „Ich bin kein Super-Prophet“ ebenfalls verletzt. Hier noch ein destillierteres Beipiel: wenn ich sage, „Die Strahlungsdosis bei Magnetresonanztomographie ist doch vermutlich ziemlich hoch“, bedeutet das NICHT „MRTs sind doch sicherlich gesundheitsschädlich“.
  • Nur, weil etwas relativ themafremdes in eine Aussage mit eingeschlossen sein könnte, ist es das noch nicht. Wenn ich in einer Diskussion über Bürosoftware sage, „Windows, Office, diese ganzen Microsoft-Produkte sind eigentlich totaler Schrott.“, dann habe ich mich bei „diese ganzen“ verplappert, und aus versehen MS Research und das Programmiersprachen-Team beleidigt. Wer mich kennt, weiß, dass ich das nicht beabsichtige. Wenn er merkt, dass ein anderer Zuhörer oder Leser meine Aussage missversteht, würde ich mich sehr freuen, wenn er ein „Wie ich dich kenne, meist du doch sicher nicht wirklich alle…“ hinzufügt, um den Fehler auszubügeln. Aber bitte nicht Haare spalten und dann ein zweiseitiges Dokument verfassen, wieso mein Satz böse war, bevor ich die ein oder zwei fehlenden Worte nachreichen kann.

Trotz alledem bitte meckern, falls etwas mehrdeutig ist und/oder widerspruchswürdig. Ich will ja diskutieren. Wo kämen wir hin, wenn alle stumm bleiben. Es geht nur um das *wie*: erst einmal Vernunft annehmen und nachfragen. Wenn sich dann herausstellt, dass tatsächlich etwas fragwürdiges dahintersteht, okö, Schlacht am Diskussionstisch! :P

So. Uff. Bisschen hart zu lesen, dieser Blogeintrag. Naja. Wer die Anwendung üben möchte: meine provokanteren Klima-Posts und die aktuelle Geschichte mit Twilight und der holden Weiblichkeit würden sich anbieten.

Aber es würde mir auch absolut reichen, wenn die Menschen etwaige Vorurteile mir gegenüber nochmal sauber durchdenken würden, oder gegebenenfalls nachfragen, wie etwas gemeint ist. Höchtwahrscheinlich ist es ein weiteres der fünf Fantastillionen an Missverständnissen, die meine flapsigen Überbetonungen oder zu krassen Textverkürzungen produziert haben. Oder aber, ich bin im Irrtum; das wäre dann eine Diskussion wert, die die Details explizit ausführt.

Achja. Ich finde, das hier genannte gilt nicht besonders für mich, sondern ganz allgemein. Wenn ich Diskussionen zuhöre, sehe ich oft sowas wie: A sagt etwas, B missversteht es und reitet auf seiner Version erstmal herum, ohne sichtbares Interesse daran, herauszufinden, was A eigentlich gemeint hat. Oder das Gegenstück; A sagt etwas, B versteht es sofort, A lässt sich aber nicht in seiner vierfach redundanten Erklärung unterbrechen. Diese Operationen verbrauchen bei vielen Diskussionen einen beträchtlichen Anteil der Zeit.

3 Antworten auf „Der FD-Disclaimer“

eigentlich könnte man dinen eintrag für allgemeine gesprächskultur übernehmen. in der letzen zeit bekomme ich den eindruck es wäre modern bei zufällig mehrdeutigen aussagen anzunehmen, der autor hätte die schlimmstmögliche beabsichtigt. daher mein appell an alle unsere leser: wenn ihr irgendwo etwas lest das auf mehrere arten interpretiert werden kann und eine einterpretationsmöglichkeit ist verletzend/niveaulos/etc, dann geht davon aus dass der Autor die andere interpretation gemeint hat!

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