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Allgemeines Das Leben

Fahrerflucht

Drei Uhr Nachts. Das Telefon klingelt. Ich baue das Klingeln in meinen Traum ein. Mein Vater spricht. Ich werde wach und realisiere, dass das Klingeln kein Traum war. Uns wurde mitgeteilt, dass eine Tochter schwanger sei. Aha. Wir haben keine Tochter. Meine Mutter wird wach und schläft seit dem nicht mehr richtig ein. Ich gehe kurz ins Bad und lege mich anschließend wieder hin.

Fünf Uhr Nachts. Ich werde wach weil mein Vater in ungefähr einer Hundertstel Sekunde aus dem Schlafzimmer bis zur Haustür rennt, sich Schuhe anzieht und laut „Brille! Brille!“ ruft. Im Schlafanzug rennt er auf die Straße und verschwindet in der Nacht. Ich bin leicht verwirrt und starte den Interpoliere-die-letzten-2-Minuten-Prozess. Das Ergebnis: ein Einbrecher der von meinen Eltern gehört worden war und jetzt gerade verfolgt wird.

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Armer Hilfsbedürftiger am Stachus…

Ich stehe also am Stachus. Da kommt ein junger Mann daher, eher Südländischer Abstammung vom Aussehen her, und fängt an, mit mir zu reden: er habe ein Problem und braucht Hilfe, ob es denn in Ordnung wäre, wenn wir uns etwas abseits setzen um darüber zu reden. Ich wartete ohnehin auf meine S-Bahn und willigte also ein.

Zuerst stellt er sich vor und fragt nach meinem Namen und wann ich wohin weiter fahre. Dann erklärt er mir seine moralischen Vorstellungen, dass es meine freie Entscheidung sei, ihm zu helfen, etc.. Insbesondere, dass er alles menschlich sehen will und ich ein freier Mensch bin, den er keineswegs bedrängen möchte. Niemand zwingt mich, seine Geschichte anzuhören oder ihr Glauben zu schenken. Dann folgt diese Geschichte, der zufolge sein Kind bei der Geburt gestorben ist, das könne er auch beweisen. Dass das emotional schwierig ist, ist ja zu verstehen – schlussendlich sei er vor 17 Stunden von seiner Freundin herausgeschmissen worden und hat nun keine Bleibe. Ich soll bitte nicht so laut reden, es muss ja nicht der ganze Bahnhof hören. Er käme aus Bremen und braucht ein Ticket zurück dorthin.

Dass dieses Ticket 120€ kostet, kann er beweisen. Auch scheinbar, dass er deutscher Staatsbürger ist – jedenfalls hatte er so einen grauen Reisepass-ähnlichen Ausweis inklusive Adler-Hologramm und sagte, er habe eine Lehrstelle in Bremen hat und könne das Geld am 16. Januar zurückzahlen. Da bekommt er nämlich sein Gehalt. Wir können das vertraglich festlegen und ich könne seine Personalien haben. Nochmals weist er mich darauf hin, ich soll nicht zu laut sprechen – meine Reaktionsgedanken werden schnell in weiteren Beweis- und Glaubwürdigkeitsargumenten begraben. Ich frage nach einer Sicherheit, aber er meint, er hat nicht mehr als sein Mobiltelefon dabei, und das ist ja wohl nicht genug wert, vielleicht könne man ihn auch ohne erreichen, aber die Idee schien für keinen von uns beiden allzu praktisch. Wir unterhielten uns über das Problem des möglichen Betrugs und meine eher negativen Erfahrungen mit solchen Begegnungen. Er betonte, dass er es nun wirklich nicht nötig habe, sich auf so eine Art Geld zu verschaffen.

Meine S-Bahn war schon die nächste einfahrende. Da bot ich an, er kann doch mitfahren. Das ginge nicht, er habe ja nicht einmal eine Streifenkarte. Kein Problem, ich selbst hatte eine dabei. Nein, das wäre ihm zu ungünstig. „Warum? Ich hätte Leute, die sich mit solcher Problematik auskennen, und das lösen können.“ – „Wir brauchen doch keine Leute, das ist doch eine Sache zwischen uns, können wir uns denn nicht vertrauen?“ – (Die S-Bahn fährt ein, mein Gehirn ist noch dabei, den vorigen Satz zu verdauen) – „Jetzt stempel und komm mit!“ – „Das ist mir zu weit.“

Während ich in die S-Bahn einsteige, sage ich noch, halb zu mir selbst „Ich glaube dir nicht.“, und die nächsten paar Sekunden bereue ich im Nachhinein. Ich mache eine unklare Geste gegenüber ihm, sehe kurz in richtung S-Bahn, und kann ihn nicht mehr ausmachen – dann schließen die Türen.

Ich hätte wieder aussteigen sollen, so tun, als wolle ich ihm Geld geben, und in einem günstigen Moment den Leuten um mir zurufen, dass sie ihn (bzw. uns) nicht entkommen lassen sollen. Aber ich war mir erst in den letzten Sekunden sicher, und in denen war ich einfach zu langsam. Er war das nicht, nach dem Kurzen Blick zur Seite habe ich ihn nicht mehr sehen können. Und den Ausweis habe ich nicht gut genug gesehen, um der Polizei allzuviel geben zu können.

Der Mensch war wirklich unheimlich glaubwürdig, und erschien mir auch keineswegs dumm. Das tatsächliche Gespräch war viel länger und verwirrender als das hier aufgeschriebene, und Methoden wie „Sieh mir in die Augen, glaubst du im Ernst, dass ich hier nur für Geld herumlüge?“ mit passender Betonung tun ihren Teil, der nicht leicht in Worte zu fassen ist. Auch einige Details faszinieren mich: in der Vorstellung zB „Ich heiße … aber meine Freunde nennen mich …“ – ich glaube, keiner der dort genannten Namen war auf dem Ausweis, aber auch den hat er nur kurz gezeigt, und mit dem ausweichenden Argument wieder weggesteckt, dass er zu wichtig sei, um als Pfand zu dienen. Diese Verwirrung und der ausländische Name auf dem Ausweis genügten, dass ich ihn jetzt nicht mehr wiedergeben kann.

Im Nachhinein fielen mir natürlich schnell gute Lösungswege für nächstes Mal ein. Der Endvorschlag des Mitkommens ist zB gut. Alles, was sonst andere Leute involviert auch – Polizei, Bahnbeamte, sonstwen als Zeugen und Ideenspender mit einbeziehen. Ich hätte auch klarstellen sollen, dass ich ihm natürlich nur direkt das Ticket kaufen würde, niemals das Geld direkt gebe. Wenn er auf so etwas negativ reagiert, hat er sich schon ziemlich geoutet. Ab da braucht man lediglich einen Weg, seine Flucht zu verhindern und die Polizei zu rufen – was leider für sich schon fast unmöglich ist.

Immerhin habe ich seine Zeit verschwendet und dabei etwas gelernt. Auch kein so schlechtes Resultat.