Eine Füchsin mit dunkelrotem Fell und schwarzen Ohrenspitzen hat die letzte Straße vor einem Stacheldraht überquert, hinter dem vermehrte Bäume auf einen beginnenden Wald hindeuten. Ihr Gefährte, etwas blasser und heller gefärbt, steht dicht hinter ihr, so stabil es seine drei noch verwendbaren Beine zulassen…
In wem jetzt eine Erinnerung aufsteigt, der braucht auf den more-tag überhaupt nicht zu klicken. Außer vielleicht, um einen nostalgischen Kommentar zu hinterlassen. ;) Man sieht im gesamten Internet, wie ehemalige Zuschauer jener kleinen Kinderserie heute heute noch auf Anspielungen daraus reagieren. Und ganz besonders diese Folge können die Wenigsten vergessen.
Wer ein Fragezeichen über dem Kopf hat, kann weiterlesen, um herauszufinden, was mich als Einziges in meinem Leben an einen echten alten Fernseher gefesselt hat.
Mir wurde ja oft genug vorgeworfen, dass ich die Biene Maja nicht kenne… und ich wüsste gern, ob ich etwas verpasst habe. (Freue mich über follow-up blogs!) Ich wundere mich jedenfalls, dass sich so Wenige an jene Serie erinnern, deren Eindruck auf mich vollkommen konkurrenzlos blieb, bis ich mit 14 Miyazaki kennenlernte.
Ich versuche mich jetzt an einer laienhaften Umschreibung von einem der Storyfäden. Entschuldigt eventuelle Schreibstil-Aussetzer. Für die richtige Version gibt’s ja original-Bücher sowie eben die Fernsehserie.
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Keck. Bold. Es ist mehr eine Bezeichnung als ein Name, daher spielt der genaue Wortlaut kaum eine Rolle. Wir kennen ihn, wir kennen ihn schon, seitdem er nach einer mit viel Blut bezahlten Reise endlich in der Sicherheit des Weißhirschparks geboren werden konnte. Und er lebte seinen Namen von Anfang an. Mutig und frech, aber nie so gedankenverloren wie seine Schwester, der ihre Art viel zu bald das Leben gekostet hat.
Und er ist rebellisch. Zu rebellisch, um mit seinem Vater, dem berühmten Thalerwaldfuchs, ein Revier zu teilen. Er wünscht sich Freiheit, und er ist diesem Wunsch nachgegangen, noch ehe er ausgewachsen war. In Streit verließ er seine Familie, und diese hatte kaum Zeit, ihn zu verabschieden — oder eindringlich genug davor zu warnen, was ihn außerhalb der Parkgrenzen erwartet.
Zeitlich betrachtet hat er schnell gelernt, woher die echte Gefahr droht, jedoch für einen hohen Preis. Für den Versuch, eine Falle zu entschärfen, zahlte er mit einem Auge, und bald darauf hatte ihm sein Leichtsinn eine Gewehrkugel beschert, die seinen Körper nicht mehr verlassen würde. Verletzt und krank musste er sich immer tiefer in menschliches Gebiet schleppen, um den tödlichen Bauern zu entkommen.
Der Überlebenskampf war nur möglich dank eines ungewöhnlich gastfreundlichen Hundes, der tatsächlich sein Futter teilt — und einer Hilfe, mit der er nicht gerechnet hätte: einer jungen Füchsin mit wunderschönem dunkelroten Fell und pechschwarzen Ohrenspitzen. Whisper. (Windspiel auf Deutsch.) Wie konnte sie in diesem Land des Terrors nur leben? Mit der Zeit sah er ein Stück der Antwort — wie sie mit geschickter Rattenjagd und der Ausnutzung des seltsamen Geländes nicht nur sich, sondern auch ihn am Leben hielt. Sie ist grazil, willensstark, aber auch einsam und gelduldig — und das beste, was ihn in seinem Leben bisher widerfahren war.
Sie hatten den Winter überlebt, und es schien, als könnten sie trotz widriger Umstände noch länger durchhalten. Doch als Whisper Nachwuchs erwartete, wurde Kecks Vergangenheit zum einzigen Ausweg. Whisper wünschte sich den Schutz des Weißhirschparks. Die Jungen durften, nein, konnten einfach nicht an einem Ort wie einer Menschensiedlung geboren werden; das wäre ihr Tod. Es hat Keck traurig gestimmt, dass wieder einmal die Größe seines Vaters sein Leben überschattete, und dass seine Verwandschaft mit ihm sicherlich eine Rolle bei Whispers Interesse gespielt hat. Aber sie hatte Recht. Eine Rückkehr war die einzige Wahl. Keck war immer noch krank, doch er musste die Reise antreten.
Und so stehen sie endlich vor dem Zaun. Zwei verbogene Stacheldrähte, eigentlich keinerlei Hindernis, kündigen den Beginn des lange herbeigesehnten Weißhirschparks an. Sie haben sogar einen Freund mitgebracht, eine neugierige Krähe, die für Keck schon länger ein treuer Verbündeter ist. Aber Keck ist unheimlich schwach, er kann kaum noch laufen. Und die Beiden Füchse wissen nicht, was sich im Park abspielt. Dass sich wieder einmal das eigentlich undenkbare Pärchen der verfeindeten Fuchsfamilien trifft, um über ihre Zukunft und den kürzlich stattgefundenen Kampf der Familienväter zu sprechen. Dass der Familienkrieg noch an diesem Tag sein Ende finden würde. Aber sie wissen, dass Keck den Konflikt mit seinem Vater nicht einfach vergessen kann und will. Und, dass seine Verletzungen ihn schon lange an seine Grenzen gebracht haben.
Als er erschöpft vor der Grenze liegt, geht seine Gefährtin auf Nahrungsuche, um ihn über das letzte Stück der Reise zu bringen. Er sieht ihr nach, wie sie hinter einem Hügel verschwindet. Ein Krähen ertönt über Kecks Kopf.
„Du bist noch bei uns? Ich dachte, du hättest uns längst aufgegeben.“ Kecks stimme klingt rauh und müde.
„Das kann ich doch nicht. Kann ich nicht! Genausowenig wie du!“
„Du weißt, dass ich da nicht mehr reingehen kann.“, erwidert Keck, während sich sein Blick auf das Schild mit dem mächtigen Symbol des Parks, dem Weißen Hirsch, richtet.
„Warum hast du dann den langen Weg zurückgelegt?“
„Für Whisper. Und den Nachwuchs. Ich musste sie herbringen… jetzt ist meine Aufgabe erfüllt.“
Er trottet davon, um sich dann unter einen Busch an der Grenze zu legen.
„Bitte, sag ihr nicht, wo ich bin.“
Whisper kehrt zurück, aber die Krähe achtet Kecks Wunsch. Der Erzähler sagt noch, dass die junge Füchsin in ihrem Herzen weiß, dass sie ihren Gefährten verloren hat. Aber das stimmt so nicht; sie weiß es nicht nur in ihrem Herzen, sondern ganz genau. Als sie endlich seine Familie trifft, sagt sie, was sie die ganze Zeit denkt.
„Er hat sich… glaube ich… zum Sterben hingelegt. Zwingt mich nicht, mit euch zu gehen. Ich würde es nicht ertragen.“
Seine Eltern kommen noch rechtzeitig, um sich von Keck zu verabschieden, seine Geschwister nicht. Er stirbt während der Versöhnung mit seinem Vater.
Und diese Szene hat sich angefühlt, als ob jemand stirbt. Ich, als Zuschauer, kannte nicht nur diese mäßige Kurzfassung, die ich gerade fabriziert habe, sondern einen großen Handlungsbogen. Die Trauernden sind nicht irgendwelche Filler-Figuren; Kecks Vater ist sogar am ehesten der Hauptcharakter der ganzen Serie. Dies sei Betont. Kecks Geschichte ist trotz aller Liebe zum Detail nicht die Hauptstory! Ich höre nicht ständig reißerische Sätze im entscheidenden Moment. Und es war nicht eine narrative Deus Ex Machina, die Keck getötet hat, sondern unsere Welt als Ganzes.
Das ist für eine fiktive Story eine echte Rarität. Mir ist das richtig aufgefallen, als ich die inflationären Megadeaths in Filmen wie 2012 gesehen habe. Ich kann ungehemmt lachen, wenn da wieder einmal ein paar hundert CGI-Ragdoll-Menschen Marionetten den sogenannten Tod finden. Nicht, dass mir die platten Hauptcharaktere wichtiger gewesen wären. Man merkt einfach, dass sie nicht richtig existieren, nicht einmal in der Vorstellung des Authors.
Das ganze künstliche Drama-Theater lässt mich kalt im Vergleich zu einer Kindergeschichte von ein paar sympathischen Füchsen — und ganz besonders einem, der nur seine Freiheit wollte, aber das Pech hatte, seine Erfahrungen ein kleines Bisschen zu spät zu sammeln. Keck, ich werde dich nicht vergessen.
Wikipedia hat diese Absicht scheinbar auch nicht. ;)
Ich habe diesen Blogpost als Test für Schreibstil/Typographie/Storyschilderung missbraucht. Falls sich jemand die Mühe machen möchte, dazu etwas anzumerken, würde mich das auch freuen. (Wenn ich irgendwann mal mit mir zufrieden bin, möchte ich vielleicht eines Tages eine eigene Geschichte schreiben.)
Ansonsten: Nostalgia go! Sagt euere Meinung zu „The Animals of Farthing Wood“, oder auch: „Als die Tiere den Wald verließen“
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Nachtrag: inb4 Whisper-Haters. Überall im Netz gibt es Menschen, die Whisper hassen, weil sie in der Diskussion um den Aufbruch zugegeben hat, dass sie wegen Kecks Vater seine Freundin geworden ist. Ich habe diesen Teil der Geschichte hier auf einen Satz beschränkt. Ich fand Whispers Verhalten zwar sehr schroff, aber ehrlich und vernünftig — und ich finde, sie hat einen furchtbaren Preis dafür zahlen müssen. Außerdem lernte sie, ihn zu lieben, und wollte das auch — mag ja sein, dass es fast schon zu spät war. Ich finde die Strafe für diesen eigentlich angebrachten Egoismus furchtbar genug. Sie verliebte sich richtig, sah ihn sterben, und wird auf ewig davon verfolgt, ihn ins Verderben getrieben zu haben. Gibt Wallpaper davon. You killed him! You killed him! You killed him! Es ist nur ein fiktiver Charakter, aber sie zu beschimpfen ist doch psychische Leichenfledderei.
Es ist aber unglaublich, die Kommentare in Youtube-Videos dazu zu lesen. Man merkt richtig, wie emotional ergriffen die User sind, die dort diskutieren. Und zwar vom Inhalt, sie sind sich praktisch alle einig über die Qualität der Serie. Ein Phänomen mehr, das ich selten zu Gesicht bekomme.
Eine Antwort auf „Eine Lektion über Leben, Tod, Mut, Leichtsinn und menschliche Zerstörung“
Du hast die Geschichte irgendwie schön beschrieben :)